Show- und Arbeitslinien

Regelmäßig fragen mich Interessenten, ob wir nun Show- oder Arbeitslinien züchten? Und was denn da nun genau der Unterschied ist? Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas weiter zurück gehen in der Geschichte des Labradors.

Als St. John’s Dog wurde der Labrador 1814 vom Neufundländer unterschieden, die beide von der kanadischen Ostküste stammten. Optisch wurde der Labrador als mittelgroßer, kräftiger Hund mit typischem breiten Schädel und dicht behaarter “Otterrute” beschrieben und hatte die Aufgabe bei der Jagd zu helfen oder abgetriebene Fische und Fischernetze aus dem Meer zu holen. Ganz im Gegensatz zum massiveren Neufundländer, der für die schwereren Tätigkeiten als Zugtier für die Seeleute im Einsatz war (zB mit Fischen geladene Karren an Land zu ziehen und um ertrinkende Seeleute aus den Fluten zu retten). Fischer brachten den Labrador im Lauf des 19. Jahrhunderts nach England mit.

Das vermutlich erste Foto eines Labradors von 1867 (Hündin Nell – geb. 1856)

Die Bezeichnung “Labrador Retriever” wird erstmals 1870 verwendet – das englische Wort “Retriever” leitet sich von ‘to retrieve’ ab, was übersetzt soviel bedeutet wie “herbeibringen”. Um 1900 hatte sich bereits ein sehr einheitlicher Typ Labrador entwickelt und bereits 1903 wurde der Labrador Retriever offiziell als Rasse vom englischen Kennel Club anerkannt. Während dieser Zeit wurden auch jagdliche Arbeitsprüfungen – sogenannte Field Trials – populär. Somit wurde der Labrador nicht nur auf englischen Zuchtschauen präsentiert, sondern stellte seine Fähigkeiten auch auf Field Trials unter Beweis. Es prägte sich der Begriff “Dual Purpose”, was bedeutete, dass der Labrador nicht nur ein guter Ausstellungshund, sondern auch ein guter Arbeitshund war (Dual = doppelt, purpose = Zweck). Der erste Dual Champion war Banchory Bolo (1915) – der vermutlich einflussreichste Rüde in der Geschichte des heutigen Labradors.

Dual Champion Banchory Bolo (1915)

In den 30er Jahren entwickelten sich zwei verschiedene Zuchtrichtungen:

Einerseits der Show Dog (Ausstellungshund) der sehr auf Schönheit selektiert und etwas massiger gezüchtet wurde. Auf der anderen Seite die Field Trial Dogs (Arbeitshunde) die eher zierlicher und schlanker waren und sehr auf Arbeitsleistung selektiert wurden. Laut Rassestandard und den heutigen Zuchtvereinen gibt es keine offizielle Unterscheidung in Show- und Arbeitslinie…diese beiden Begriffe werden eigentlich eher umgangssprachlich verwendet. Ziel wäre ein Labrador Retriever der in Show & Work gleich gute Erfolge erzielt – also eigentlich ein Dual Purpose Hund. In der Realität sind die Unterscheide in den Zuchtlinien jedoch leider deutlich zu erkennen – auch wenn sich beide Linien grundsätzlich am Rassestandard orientieren.

Schmalere und leichtere Labrador mit weniger Knochenstärke und dünnerem Fell werden schnell als Arbeitslinie betitelt – die kräftigeren und schwereren Labbis als Showlinie. Doch alleine an der Optik oder dem Gewicht kann man keine Zuchtlinien erkennen – anhand der Ahnentafel ist ersichtlich, aus welchen Linien ein Hund tatsächlich stammt.

Hunde aus sogenannten Arbeitslinien haben über Generationen hinweg bewiesen, dass sie Championtitel und Siege auf Field Trials erringen können. Sie können aber natürlich auch Showhunde in ihren Ahnen haben. Sie sind leichter gebaut, besitzen einen schmaleren Kopf mit meist langem Fang und wenig Stop. Arbeitslinien zeigen oft einen ausgeprägteren Will-to-Please, sind sportlicher und wendiger – gelten aber gleichzeitig als sensibler und distanzierter. Sie sind aktiver und wollen arbeiten und Aufgaben erfüllen, wodurch sie oft nervös und übereifrig wirken.

Hunde aus sogenannten Showlinien haben über Generationen diverse Championtitel auf Ausstellungen errungen. Sie können aber auch Arbeitshunde in ihren Ahnen haben. Showlinien sind schwerer und breiter gebaut, mit tiefem Brustkorb und ausgeprägtem Stop. Ihr Fell ist stockhaarig, dicht und mit guter Unterwolle. Oft wird Showlabbis nachgesagt, dass sie eher faul und träge sind – das kann ich so keinesfalls unterschreiben. Sie apportieren für ihr Leben gern und blühen auf, wenn sie ihrer ursprünglichen Arbeit nachgehen dürfen. Natürlich aber nicht im selben Tempo, wie man das von Arbeitslinien kennt.

Unsere Mädels (v.l.n.r.): Momo, Fiby, Heidi und Annie

Als Züchterin versuche ich weder in das eine (Arbeitslinie) noch in das andere (Showlinie) Extrem zu verfallen. Zusammenbringen wird man die beiden Linien wohl nicht mehr können – aber zumindest eine langsame Annährung beider Zuchtrichtungen wäre wünschenswert. Ein Labrador soll weder einem Molosser, noch einem Windhund ähnlich sehen. Showhündinnen mit 40kg und mehr sind genauso wenig labradortypisch wie Arbeitshündinnen mit nichtmal 20 kg und spitzem und langem Fang. Der ideale Labrador ist für mich ein Hund der gerne mit mir trainiert und Neues lernt, mich entspannt und gelassen auf Spaziergängen begleitet, allem gegenüber offen, aufgeschlossen und unerschrocken ist und vom Temperament her weder übersprudelnd noch langweilig ist. Optisch tendiere ich zum Typ Labrador mit breitem Kopf und kräftigem Körperbau – der jedoch trotzdem schlank und sportlich ist und mich problemlos am Rad oder auf den Berg begleiten kann und will. In den Ahnen meiner Hunde sind überwiegend Showhunde zu finden – da ich meine Hunde vorallem in Bezug auf eine höhere Lebenserwartung eher schlank halte, werden sie aber oft irrtümlich als Arbeitslinien eingeschätzt. Für mich persönlich sind Labradore sehr vielfältig mit mehr Vor- als Nachteilen – egal ob Show- oder Arbeitslinie: beide Linien sind unglaublich liebenswert und eine Bereicherung für jeden der ein Leben mit Hunden liebt und schätzt.